Das Vorurteil des ‚finsteren‘ Mittelalters hat sich auf die damalige Medizin
und ihre praktizierenden Ärzte übertragen. Erlässe und kirchliche Dogmen
behinderten oft die Wissenserweiterung und die notwendige Forschung.
Richtig ist, dass
die Mittelalter-Medizin vielerorts in Laienhand lag und es keine geregelte
Schulung in ärztlichem Wissen gab. Bewahrt und ausgebildet wurde die Heilkunst
vor allem in den Klöstern. Einige Klöster wie z.B. in Fulda, wurden als Stätten
medizinischer Gelehrsamkeit über die Landesgrenzen bekannt.
Ein zentrales Dogma war die Lehre von den Körpersäften (Blut, Schleim, gelbe
Galle, schwarze Galle) und ihrer notwendigen Harmonie. Darauf basierend galt
der Aderlass als universelles Therapiemittel. Er geschah prophylaktisch und natürlich im
Krankheitsfall, z.B. bei Bluthochdruck. Die Werte mit einem
Blutdruckmessgerät zu überwachen war damals nicht möglich: man urteilte nach
Tast- und Sichtbefund, indem man Menschen mit warmer, feuchter Haut und
gerötetem Gesicht zur Ader ließ. Auch bei Infektionskrankheiten wurde Blut
abgezapft – ein aus moderner Sicht sinnvolles Unterfangen, weil die
Blutentnahme den Eisenspiegel senkt und im eisenarmen Blut Bakterien sich
langsamer vermehren.
Die Medizin des Mittelalters hatte in vielen Fällen weder sichere Diagnosen
noch physiologische Kenntnisse, wandte aber aus Erfahrung meist die richtigen
Heilmittel an. Man wusste nichts über Jod, verabreichte jedoch Seetang gegen
Kropfbildung. Penicillin war unbekannt, aber infizierte Wunden rieb man mit
Schimmelpilzen ein, die dieses Antibiotikum produzieren.
Die Klöster durchforschten die Pflanzenwelt unermüdlich nach heilenden
Substanzen. Es wurden manche Irrwege beschritten im Rahmen der Signaturenlehre,
die den erkrankten Körperteilen entsprechend geformte Naturalien zuordnete
(z.B. die lungenförmigen Blätter des Lungenkrauts gegen Krankheiten dieses
Organs). Doch sind auch geradezu moderne
Denkansätze zu erkennen (Stichwort Ganzheitlichkeit). Der Mittelalter-Arzt
betrachtete das Symptom nicht isoliert, sondern als Ausdruck eines
Ungleichgewichts. Behandlungsziel war die Harmonisierung des Gesamtorganismus.